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An*** Kein Wort, und wär' es scharf wie Stahles Klinge

Kein Wort, und wär' es scharf wie Stahles Klinge,
Soll trennen, was in tausend Fäden Eins,
So mächtig kein Gedanke, daß er dringe
Vergällend in den Becher reinen Weins;
Das Leben ist so kurz, das Glück so selten,
So großes Kleinod, einmal sein statt gelten!

Hat das Geschick uns, wie in frevlem Witze,
Auf feindlich starre Pole gleich erhöht,
So wisse, dort, dort auf der Scheidung Spitze
Herrscht, König über Alle, der Magnet,
Nicht frägt er ob ihn Fels und Strom gefährde,
Ein Stral fährt mitten er durchs Herz der Erde.

Blick' in mein Auge - ist es nicht das deine,
Ist nicht mein Zürnen selber deinem gleich?
Du lächelst - und dein Lächeln ist das meine,
An gleicher Lust und gleichem Sinnen reich;
Worüber alle Lippen freundlich scherzen,
Wir fühlen heilger es im eignen Herzen.

Pollux und Castor, - wechselnd Glühn und Bleichen,
Des Einen Licht geraubt dem Andern nur,
Und doch der allerfrömmsten Treue Zeichen. -
So reiche mir die Hand, mein Dioskur!
Und mag erneuern sich die holde Mythe,
Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.


 

 

Vergällend] vergällen: ungenießbar machen, verbittern.
frevlem] frevel: verwegen.

Magnet] Vorstellung des Magnetismus oder Mesmerismus, zurückgehend auf Franz Anton Mesmer (1734-1815)
Pollux und Castor] (griech. Mythologie) Halbbrüder, Sinnbild der Treue.

wechseln Gühn und Bleichen] Die Dioskuren (Zeussöhne, s.u. ) wurden als Sterne an den Himmel versetzt und zu Schützern der Seeleute, die durch Stürme in Gefahr waren und denen sie oft als St.-Elms-Feuer schienen.

Des Einen Licht] Kastor kann das Licht des Olymps nur besuchsweise genießen.
Dioskur] Zeussohn.
die holde Mythe] volkstümliche Deutung des St.-Elms-Feuers.

 

Hier gelangen Sie zum Druck des Gedichts in der Ausgabe 1844.

 

Und hier gelangen Sie zur englischen Übersetzung im Zuge des Trans|Droste-Projekts.