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Die Stadt und der Dom (Eine Carricatur des Heiligsten)

"Der Dom! der Dom! der deutsche Dom!
Wer hilft den Cölner Dom uns baun!"
So fern und nah der Zeitenstrom
Erdonnert durch die deutschen Gaun.
Es ist ein Zug, es ist ein Schall
Wie ein gewaltger Wogenschwall.
Wer zählt der Hände Legion
In denen Opferheller glänzt?
Die Liederklänge wer, die schon
Das Echo dieses Rufs ergänzt?

Und wieder schallt's vom Elbestrand:
"Die Stadt! die Stadt! der deutsche Port!"
Und wieder zieht von Land zu Land
Ein Gabespendend Klingeln fort;
Die Schiffe kommen Mast an Mast,
Goldregen schüttet der Pallast,
Wem nie ein eignes Dach bescheert,
Der wölbt es über fremde Noth,
Wem nie geraucht der eigne Heerd,
Der theilt sein schweißbenetztes Brod.

Wenn eines ganzen Volkes Kraft
Für seines Gottes Heiligthum
Die Lanze hebt so Schaft an Schaft,
Wer glühte nicht dem schönsten Ruhm?
Und wem, wem rollte nicht wie Brand
Das Blut an seiner Adern Wand,
Wenn eines ganzen Volkes Schweiß
Gleich edlem Regen niederträuft,
Bis in der Aschensteppe heiß
Viel Tausenden die Garbe reift?

Man meint, ein Volk von Heil'gen sey
Herabgestiegen über Nacht,
In ihrem Eichensarg aufs neu
Die alte deutsche Treu' erwacht.
O werthe Einheit, bist du Eins –
Wer stände dann des Heilgenscheins,
Des Kranzes würdiger als du,
Gesegnete, auf deutschem Grund!
Du trügst den goldnen Schlüssel zu
Des Himmels Hort in deinem Bund.

Wohlan ihr Kämpen denn, wohlan
Du werthe Kreuzesmassoney,
So gebt mir eure Zeichen dann
Und euer edles Feldgeschrei!
Da, horch! da stieß vom nächsten Schiff
Die Bootmannspfeife grellen Pfiff,
Da stiegen Flaggen ungezählt,
Cantate summte und Gedicht,
Der Demuth Braun nur hat gefehlt,
Jehova's Namen hört ich nicht,

Wo deine Legion, o Herr,
Die knieend am Altare baut?
Wo, wo dein Samariter, der
In Wunden seine Thräne thaut?
Ach, was ich fragte und gelauscht,
Der deutsche Strom hat mir gerauscht,
Die deutsche Stadt, der deutsche Dom,
Ein Monument, ein Handelsstift,
Und drüber sah wie ein Phantom
Verlöschen ich Jehovas Schrift.

Und wer den Himmel angebellt,
Vor keiner Hölle je gebebt,
Der hat sich an den Krahn gestellt
Der seines Babels Zinne hebt.
Wer nie ein menschlich Band geehrt,
Mit keinem Leid sich je beschwert,
Der fluthet aus des Busens Schrein
Unsäglicher Gefühle Strom,
Am Elbestrand, am grünen Rhein,
Da holt sein Herz sich das Diplom.

Weh euch, die ihr den zorn'gen Gott
Gehöhnt an seiner Schwelle Rand,
Meineid'gen gleich in frevlem Spott
Hobt am Altare eure Hand!
Er ist der Herr, und was er will
Das schaffen Leu und Krokodill! –
So baut denn, baut den Tempel fort,
Mit ird'schem Sinn den heilgen Haag,
Daß euer bessrer Enkel dort
Für eure Seele beten mag!

Kennt ihr den Dom der unsichtbar
Mit tausend Säulen aufwärts strebt?
Er steigt wo eine gläubge Schaar
In Demuth ihre Arme hebt.
Kennt ihr die unsichtbare Stadt
Die tausend offne Häfen hat
Wo euer werthes Silber klingt?
Es ist der Samariter Bund,
Wenn Rechte sich in Rechte schlingt,
Und nichts davon der Linken kund.

O, er der Alles weiß, er kennt
Auch eurer Seele ödes Haus;
Baut Magazin und Monument,
Doch seinen Namen laßt daraus!
Er ist kein Sand der glitzernd stäubt,
Kein Dampfrad das die Schiffe treibt,
Ist keine falsche Flagge die
Sich stahl der See verlorner Sohn,
Parol' nicht die zur Felonie
Ins Lager schmuggelt den Spion!

Baut, baut, – um euer Denkmal ziehn
Doch Seufzer fromm und ungeschmückt,
Baut, – neben eurem Magazin
Wird doch der Darbende erquickt.
Ob eures Babels Zinnenhaag
Zum Weltenvolk euch stempeln mag?
Schaut auf Palmyrens Steppenbrand,
Wo scheu die Antilope schwebt,
Die Stadt schaut an wo, ein Gigant,
Das Colosseum sich erhebt.

Den Wurm der im Geheimen schafft,
Den kalten nackten Grabeswurm,
Ihn tödtet nicht des Armes Kraft,
Noch euer toller Liedersturm.
Ein frommes, keusches Volk ist stark,
Doch Sünde zehrt des Landes Mark;
S i e hat in deiner Glorie Bahn,
O Roma, langsam dich entleibt,
Noch steht die Säule des Trajan,
Und seine Kronen sind zerstäubt!

 

 

Die Stadt] Hamburg nach dem großen Brand vom 5.-10. Mai 1842.

ihr Kämpen] Kämpe: tapferer Kriegsmann.

Kreuzesmassoney] Kreuzritterschaft; mhd. massenie: Ritter im Gefolge des Fürsten.

Cantate] kirchlicher Gesang, lyrisches Chorwerk mit Sologesängen und Instrumentalbegleitung.

Der Demuth Braun] die Farbe Braun hier als Symbol der Demut.

Haag] eingefriedeter Wald, eingeschlossene Fläche; hier im Sinne von Wald, heiliger Hain.

Felonie] Verrat.

Palmyrens Steppenbrand] Palmyra: Stadt in der syrischen Wüste.

die Säule des Trajan] Gedächtnissäule auf dem Trajanforum in Rom, die anlässlich der Eroberung Dakiens durch Kaiser Trajan (98-117 n. Chr.) im Jahre 113 errichtet wurde.

 

 

Hier gelangen Sie zum Druck des Gedichts in der Ausgabe 1844