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Ungastlich oder nicht? (In Westphalen)

Ungastlich hat man dich genannt,
Will deinen grünsten Kranz dir rauben,
Volk mit der immer offnen Hand,
Mit deinem argwohnlosen Glauben;
O rege dich, daß nicht die Schmach
Auf deinem frommen Haupte laste,
Und redlich, wie das Herz es sprach,
So sprich es nach zu deinem Gaste:

"Fremdling an meiner Marken Stein,
Mann mit der Stirne trüben Falten,
O, greif in deines Busens Schrein,
Und lass' die eigne Stimme walten.
Nicht soll bestochner Zeugen Schaar
Uns am bestochnen Worte rächen,
Nein, Zeug' und Richter sollst du klar
Dir selbst das freie Urtheil sprechen.

Fühlst du das Herz in dir, nicht heiß
Doch ehrlich, uns entgegen schlagen,
Dein Wort kein falsch und trügend Gleis,
Befleckend was die Lippen tragen,
Fühlst du ein Gast dich wie er lieb
Dir an dem eignen Hausaltare,
Dann frisch heran - nicht wie ein Dieb,
Nein, frisch, mit fröhlicher Fanfare!

Wer unsres Landes Sitte ehrt,
Und auch dem seinen hält die Treue -
Hier ist der Sitz an unserm Heerd!
Hier unsres Bruderkusses Weihe!
Wer fremden Volkes Herzen stellt
Gleich seinem in gerechter Wage -
Hier unsre Hand, daß er das Zelt
Sich auf bei unsern Zelten schlage!

Doch sagt ein glüh' Erröthen dir,
Du gönntest lieber einer andern
Als deiner Schwelle gleiche Zier -
Brich auf, und mögest eilends wandern!
Wir sind ein friedlich still Geschlecht
Mit lichtem Blick und blonden Haaren,
Doch unsres Heerdes heilig Recht
Das wissen kräftig wir zu wahren.

Die Luft die unsern Odem regt,
Der Grund wo unsre Gräber blühen,
Die Scholle die uns Nahrung trägt,
Der Tempel wo wir gläubig knieen,
Die soll kein frevler Spott entweihn,
Dem Feigen Schmach und Schamerröthen,
Der an des Heiligthumes Schrein
Läßt eine falsche Sohle treten!

Doch einem Gruß aus treuem Muth
Dem nicken ehrlich wir entgegen,
Hat jeder doch sein eignes Blut,
Und seiner eignen Heimath Segen.
Wenn deine Ader kälter rinnt,
So müssen billig wir ermessen:
Wer könnte wohl das fremde Kind
Gleich eignem an den Busen pressen?

Drum jede Treue sey geehrt,
Der Eichenkranz von jedem Stamme;
Heilig die Glut auf jedem Heerd,
Ob hier sie oder drüben flamme;
Dreimal gesegnet jedes Band
Von der Natur zum Lehn getragen,
Und einzig nur verflucht die Hand,
Die nach der Mutter Haupt geschlagen!"

 

 

falsche Sohle] Sohle: metonymisch für Schuh, aber auch gebräuchlich für den schreitenden Menschen.

 

Hier gelangen Sie zum Druck des Gedichts in der Ausgabe 1844